Landessozialgericht Berlin
Az.: L 2 U 89/99
Beschluss
in dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
g e g e n
Bau-Berufsgenossenschaft Hannover, Bezirksverwaltung Berlin,
Hildegardstr.
28/30, 10715 Berlin
Beklagte und Berufungsbeklagte.
Der 2. Senat des Landessozialgerichts Berlin hat am 18. April
2000
durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht L i n d
n e r ,
den Richter am Landessozialgericht D u m l i c h und
den Richter am Sozialgericht B o r n s c h e u e r beschlossen:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Berlin
vom 9. August 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten
nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente
wegen einer Berufskrankheit.
Der am 1. Mai 1937 geborene Kläger war von September 1953
bis Januar 1966 im Beitrittsgebiet als Maurer und Hucker beschäftigt.
Anschließend arbeitete er dort als Techniker bzw. Bauwirtschaftler
bis Juni 1970. Vom 11. Juni 1970 bis 31. Dezember 1990 war der
Kläger als Technologe im Bereich Baukalkulation/Projektierung
bei dem VEB S in Berlin-Friedrichsfelde tätig. Am 8. März
1990 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, bei dem er sich
Verletzungen am rechten Arm zuzog. Mit am 8. November 1991 bei
der Beklagten und am 16. Dezember 1991 bei der Berufsgenossenschaft
der chemischen Industrie (BG Chemie) eingegangener "Unfallanzeige"
erstattete die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Berlin Anzeige
nach § 1503 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und meldete
gleichzeitig ihre Erstattungsansprüche nach §§
102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) an.
Mit Schreiben vom 14. März 1997 teilte die BG Chemie, die
wegen des Unfalls vom 8. März 1990 als nach Anlage 1 Kap.
VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 2 Buchst. aa Satz 2 des Einigungsvertrages
vom 31. August 1990 - EinigVtr - (BGBl. II S. 889) zuständige
Berufsgenossenschaft ein Feststellungsverfahren eingeleitet hatte,
der Beklagten mit, ihr sei am 3. Dezember 1996 von dem Kläger
eine ärztliche Anzeige über eine berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung
übergeben worden, für die die Zuständigkeit der
Beklagten gegeben sei, weil die schädigenden Tätigkeiten
nach den Angaben des Klägers bis 1966 nur in Baubetrieben
verrichtet worden seien. Dem Schreiben war eine "Ärztliche
Anzeige über eine Berufskrankheit" des Arztes Dr. K
vom 2. April 1996 beigefügt, in der es heißt, der Kläger
leide an einer chronischen zervikalen Myelopathie C5, einer synonymen
Immunsystemdysplasie, einer Vitalreduktion sowie einer belastungsbewegungsabhängigen
Traumatisierung des Zentralnervensystems. Diese Erkrankungen beruhten
auf den von dem Kläger von 1953 bis 1966 verrichteten Tätigkeiten
(Huckerarbeit, Hand-Schlagbohr-Pressluftstemmen, Gerüstbauen).
Sie seien als Berufskrankheiten nach Nrn. 2106, 2108 bis 2110,
2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen.
Am 3. April 1996 war bei dem Landesinstitut für Arbeitsmedizin
eine Anzeige über eine Berufskrankheit des Dr. K wegen einer
"bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS" eingegangen.
In dem daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Verwaltungsverfahren
wurden den Kläger betreffende medizinische Unterlagen beigezogen
und Ermittlungen bezüglich seiner beruflichen Belastungen
durchgeführt. Hierbei kam der Technische Aufsichtsdienst
(TAD) der Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Kläger "bei
seinen Tätigkeiten in unserem Mitgliedsbetrieb 30 % seiner
Arbeitszeit über das normale Maß eines Maurers hinaus
wirbelsäulen- belastend tätig war". Der TAD der
Steinbruchs-Berufsgenossenschaft
äußerte in seinen Stellungnahmen vom 4. November 1997
und 7. Januar 1998 die Auffassung, der Kläger sei in den
Zeiten von Dezember 1963 bis Januar 1966, als er auf einem "Schonplatz"
eingesetzt gewesen sei, sowie von 1970 bis 1990, als er in seiner
Eigenschaft als Technologe Bürotätigkeiten verrichtet
habe, keinen Beschäftigungen nachgegangen, die geeignet gewesen
wären, eine der von ihm geltend gemachten Berufskrankheiten
(Nrn. 2106 bis 2111 sowie 2402) zu verursachen oder zu verschlimmern.
Die BG Chemie lehnte die Anerkennung der Berufskrankheiten Nr.
2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) durch Bescheid
vom 16. Oktober 1997 und Nrn. 2109, 2110 (Wirbelsäulenschäden
durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter
bzw. durch Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen)
durch Bescheid vom 19. Februar 1998 ab.
Durch Bescheid vom 25. Februar 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides
vom 30. März 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung
einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 der Anlage 1 zur BKVO ab. Nach Art. 2 Abs. 2 der Zweiten
Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (2.
ÄndVO) sei eine solche Berufskrankheit nur rückwirkend
anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März
1988 eingetreten sei. Das sei bei dem Kläger nicht der Fall,
weil er alle wirbel- säulenbelastenden Tätigkeiten bereits
1966 aufgegeben habe.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 21. April 1998
Klage erhoben. Er hat im Laufe des Klageverfahrens die Anerkennung
seiner Wirbelsäulenerkrankungen nach der Berufskrankheit
Nr. 70 der Berufskrankheiten-Liste der ehemaligen DDR (Verschleißkrankheiten
der Wirbelsäule durch langjährige mechanische Überlastungen)
sowie die Gewährung von Leistungen aufgrund weiterer Berufskrankheiten
der Anl. 1 zur BKVO beantragt. Das Sozialgericht hat den Kläger
mehrfach darauf hingewiesen, dass nur eine Entschädigung
wegen der Berufskrankheit Nr. 2108 streitig und eine Erweiterung
der Klage nicht sachdienlich sei. Die Beklagte hat in der mündlichen
Verhandlung vor dem Sozialgericht am 9. August 1999 erklärt,
dass sie einer Klageerweiterung nicht zustimme. Der Kläger
hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht
beantragt, den
Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides
vom 30. März 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
dem Kläger unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.
2108 der Anlage zur BKVO eine Verletztenrente zu gewähren,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Anerkennung
der Wirbelsäulenerkrankung Nr. 70/71 der Liste der Berufskrankheiten
der DDR eine Verletztenrente zu gewähren und die Beklagte
zu verurteilen, dem Kläger unter Anerkennung von Berufskrankheiten
nach Nr. 2103, 2106, 2107, 2109, 2110 und 2111 der Anlage zur
BKVO eine Verletztenrente zu gewähren.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 9. August 1999
abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die Klage sei unzulässig, soweit mit ihr die Gewährung
einer Verletztenrente unter Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung
als Berufskrankheit nach Nr. 70/71 der Liste der Berufskrankheiten
der DDR begehrt werde, weil es an einer bescheidmäßigen
Entscheidung über dieses Begehren fehle. Der Bescheid vom
25. Februar 1998 betreffe allein eine Entscheidung über die
Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKVO. Die Klage sei
auch unzulässig, soweit mit ihr die Gewährung einer
Verletztenrente unter Anerkennung von Berufskrankheiten nach Nr.
2103, 2106, 2107, 2109, 2110 und 2111 der Anlage zur BKVO begehrt
werde. Insoweit liege eine Klageänderung im Sinne des §
99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor, die unzulässig sei, weil
die Beklagte nicht zugestimmt habe und die Klageerweiterung nicht
sachdienlich erscheine.
Soweit der Kläger Entschädigung wegen der Berufskrankheit
Nr. 2108 der Anlage zur BKVO begehre, sei die zulässige Klage
nicht begründet. Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme
- unter Berücksichtigung der von der Beklagten beigezogenen
medizinischen Unterlagen - seien Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule
nicht ersichtlich. Selbst der den Kläger seit 1995 behandelnde
Arzt Dr. K habe in seinem Befundbericht die Frage nach der Feststellung
einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule
verneint; es bestünden nur die das altersübliche Maß
übersteigenden Verschleißerscheinungen im Bereich L
2 bis 4 und 5 im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose
der Lendenwirbelsäule. Darüber hinaus scheitere die
Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2108 an der Rückwirkungsklausel
des Art. 2 Abs. 2 der 2.ÄndVO, weil der Versicherungsfall,
wenn eine band- scheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
vorläge, mit der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit
im Jahre 1966 eingetreten wäre, also vor dem 1. April 1988.
Gegen das am 21. Oktober 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger
(bereits) am 14. September 1999 Berufung eingelegt und sein im
erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachtes Klagebegehren weiterverfolgt.
Durch Bescheid vom 25. Januar 2000 hat die Beklagte die Gewährung
einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nr.
70 der Berufskrankheiten- Liste der ehemaligen DDR mit der Begründung
abgelehnt, eine Berufskrankheit sei ihr erstmalig mit der BK-Anzeige
des Dr. K vom 2. April 1996 gemeldet worden, so dass die Anerkennung
einer Berufskrankheit nach dem Recht des Beitrittsgebiets gemäß
§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO ausgeschlossen sei.
Der Kläger hat hierzu einen Schriftsatz vom 17. Februar 2000
eingereicht, in dem er erklärt, er erhebe gegen den Bescheid
vom 25. Januar 2000 Widerspruch und "Beschwer zum Berufungsverfahren".
Mit Schreiben vom 8. März 2000 ist dem Kläger vom Senat
mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß
§ 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückzuweisen. Daraufhin
hat er mit am 29. März 2000 eingegangenen Schreiben vom 20.
März 2000 u.a. eine Kopie des Widerspruchsbescheides der
Beklagten vom 29. Februar 2000 übersandt, durch welchen sein
Widerspruch gegen den seinen Antrag auf Anerkennung der
Berufskrankheit
Nr. 2106 der Anl. 1 zur BKVO ablehnenden Bescheid vom 7. September
1999 zurückgewiesen worden ist.
Er begehrt die Einbeziehung der genannten Bescheide im Wege der
"Beschwer- und Erweiterungsklage" in den hiesigen Rechtsstreit.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 1999 aufzuheben
und unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1998, des
Bescheides vom25. Januar 2000 sowie des Bescheides vom 7. September
1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar
2000 die Beklagte zu verurteilen, ihm
1. unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage
1 zur BKVO eine Verletztenrente zu gewähren,
2. unter Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung nach Nr.
70/71 der Liste der Berufskrankheiten der DDR eine Verletztenrente
zu gewähren und
3. unter Anerkennung von Berufskrankheiten nach Nrn. 2103, 2106,
2107, 2109, 2110 und 2111 der Anlage 1 zur BKVO Verletztenrente
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 5. April 2000 hat der Senat den Kläger
nochmals auf seine Absicht hingewiesen, gemäß §
153 Abs. 4 SGG durch Beschluss seine Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den
Akteninhalt verwiesen. Der den Kläger betreffende Verwaltungsvorgang
der Beklagten lag dem Senat bei der Entscheidung vor.
II.
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch
Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig nicht für
begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich hält. Durch den Antrag des Klägers auf
Fristverlängerung vom 11. April 2000 war der Senat an einer
Entscheidung nach Ablauf der mit Schreiben vom 5. April 2000 gesetzten
Frist nicht gehindert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass es dem
Kläger wegen seiner Schwerbehinderung nicht möglich
gewesen sein soll, innerhalb der ihm gesetzten Frist Stellung
zu nehmen, zumal er mit Schreiben vom 20. März 2000 umfassend
vorgetragen hatte. Dass er nach Erhalt des gerichtlichen Schreibens
vom 5. April 2000 durch eine akute Erkrankung an einer (weiteren)
Stellungnahme innerhalb der Frist gehindert gewesen ist, ist von
ihm nicht geltend gemacht worden. Hiergegen spricht sein Erscheinen
auf der Rechtsantragstelle am 11. April 2000.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom
25. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30. März 1998, durch den sie den Antrag des Klägers
auf Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO abgelehnt hat. Der im Laufe
des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 25. Januar 2000,
durch den die Beklagte entschieden hat, dem Kläger stehe
kein Entschädigungsanspruch wegen einer Berufskrankheit nach
Nr. 70 der Berufskrankheiten-Liste der ehemaligen DDR zu, ist,
ebenso wie der seinen Antrag auf Leistungen aufgrund der Berufskrankheit
Nr. 2106 ablehnende Bescheid der Beklagten vom 7. September 1999
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar 2000,
nicht gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG
Gegenstand des Rechtsstreits geworden, weil diese Verwaltungsakte
den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 25. Februar 1998
weder abändern noch ersetzen. Eine Änderung im Sinne
des § 96 Abs. 1 SGG liegt vor, wenn der ursprüngliche
Verwaltungsakt durch den neuen teilweise aufgehoben und durch
eine Neuregelung ersetzt wird; eine Ersetzung ist gegeben, wenn
der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (vgl.
Meyer- Ladewig, Komm. zum SGG § 96 Rz. 3 m.w.N.).
In dem vorliegenden Fall rechtfertigt auch der Gedanke der Prozessökonomie
nicht die Einbeziehung der genannten Verwaltungsakte in den Rechtsstreit,
weil diese andere Streitgegenstände betreffen und ein Zusammenhang
mit dem durch den Bescheid vom 25. Februar 1998 geregelten Streitstoff,
der bei weiter Auslegung der Vorschrift eine Anwendung des §
96 Abs. 1 SGG geboten erscheinen lassen könnte, nicht zu
bejahen ist.
Bezüglich des Bescheides vom 25. Januar 2000 reicht hierfür
der Umstand, dass der Kläger Entschädigungsleistungen
aufgrund seines Rückenleidens geltend macht, das er sich
während seiner Tätigkeit als Maurer/Hucker von 1953
bis 1966 zugezogen haben will, nicht aus. Die Anforderungsprofile
beider Berufskrankheiten weichen nicht unerheblich voneinander
ab. Während die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKVO
eine "bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule"
erfordert, setzt die Berufskrankheit Nr. 70 der DDR "Verschleißerkrankungen
der Wirbelsäule (Bandscheiben, Wirbel- körperabschlussplatten,
Wirbelfortsätze, Bänder, kleine Wirbelgelenke)"
voraus. Während für die Feststellung der Berufskrankheit
nach Nr. 2108 die Fach-Berufsgenossenschaft zuständig ist
(hier wegen der Tätigkeit als Maurer/Hucker die Beklagte),
könnte für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 70
der Berufskrankheiten-Liste der DDR nach Anl. 1 Kap. VIII Sachg.
I Abschnitt III Buchst. aa Satz 2 i.V.m. Buchst. ff EinigVtr auch
die Zuständigkeit der BG Chemie als sogenannter "Geburtstags-Berufsgenossenschaft"
gegeben sein. Das wäre der Fall, wenn die Berufskrankheit
spätestens bis zum 31. Dezember 1994 angezeigt worden wäre.
Es liegen unterschiedliche Versicherungsfälle mit unterschiedlichen
Anforderungsprofilen vor, die möglicherweise von verschiedenen
Berufsgenossenschaften zu bearbeiten wären und die wegen
der unterschiedlichen Berechnung des jeweiligen Jahresarbeitsverdienstes
Leistungen in unter- schiedlicher Höhe auslösen würden.
Aus diesen Gründen fehlt es an einem Sachzusammenhang, der
im Wege extensiver Auslegung die Einbeziehung des Bescheides vom
25. Januar 2000 nach § 96 Abs. 1 SGG ermöglichen würde.
Dasselbe gilt auch für die durch den Bescheid vom 7. September
1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar
2000 erfolgte Ablehnung der Gewährung von Leistungen nach
der Berufskrankheit Nr. 2106 (Drucklähmungen der Nerven),
so dass auch diese Verwaltungsakte nicht kraft Gesetzes Gegenstand
des Rechtsstreits geworden sind.
Das Urteil des Sozialgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung
in vollem Umfang stand. Es hat zu Recht die Klage insoweit als
unzulässig abgewiesen, als der Kläger die Anerkennung
der Berufskrankheiten Nr. 70 und 71 der Berufskrankheiten-Liste
der DDR sowie der Nrn. 2103, 2106, 2107, 2109, 2110 und 2111 der
Anlage 1 zur BKVO und die Gewährung von Verletztenrenten
beantragt hatte.
Wie bereits dargelegt wurde, betrifft der mit der Klage angefochtene
Bescheid vom 25. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. März 1998 (nur) die Ablehnung einer Entschädigung
wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 2108. Die Einbeziehung
anderer Berufskrankheiten in den hiesigen Rechtsstreit wäre,
unabhängig davon, ob von der Beklagten bzw. der BG Chemie
bereits Feststellungsbescheide erlassen wurden (zu den Berufskrankheiten
Nrn. 2109 und 2110 Bescheid der BG Chemie vom 19. Februar 1998;
zu Nr. 2111 Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1998), nur im
Wege einer Klageänderung im Sinne des § 99 SGG möglich.
Sie ist nach dessen Abs. 1 nur zulässig, wenn die übrigen
Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für
sachdienlich hält.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht
am 9. August 1999 einer Klageerweiterung ausdrücklich widersprochen.
Sie hat sich im Berufungsverfahren auf die Klageänderung
nicht eingelassen (§ 99 Abs. 2 SGG). Der Senat folgt der
Auffassung des Sozialgerichts, dass eine Erweiterung der Klage
auf eine oder mehrere Berufskrankheiten nicht sach- dienlich ist.
Der Auffassung des Klägers, dass alle von ihm geltend gemachten
Berufskrankheiten in einem Gesamtzusammenhang stehen, ist nicht
zu folgen. Er verkennt, dass jede Berufskrankheit, wie auch jeder
Arbeitsunfall, einen eigenständigen Versicherungsfall und
demzufolge eigenständige Leistungsansprüche gegen die
jeweils zuständige Berufsgenossenschaft auslöst. Die
aufgrund von Berufskrankheiten-Anzeigen einzuleitenden
Feststellungsverfahren
sind voneinander unabhängig und speziell auf das Anforderungsprofil
der einzelnen Berufskrankheit ausgerichtet. Es sind unterschiedliche
Voraussetzungen zu beurteilen und unterschiedliche Lebenssachverhalte
zu ermitteln. Allein dies schließt die Sachdienlichkeit
der vom Kläger begehrten Klageerweiterung aus. Diese Erwägungen
gelten in gleicher Weise für die von dem Kläger in dem
Schreiben vom 20. März 2000 begehrte Einbeziehung des die
Ablehnung der Berufskrankheit Nr. 2106 betreffenden Bescheides
vom 7. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. Februar 2000, so dass auch hierüber eine Entscheidung
des Senats in der Sache nicht möglich ist.
Nicht zu beanstanden ist das Urteil des Sozialgerichts vom 9.
August 1999 auch, soweit es die Klage insoweit als unbegründet
abgewiesen hat, als unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach
Nr. 2108 der Anl. 1 zur BKVO Verletztenrente begehrt wurde. Es
kann offen bleiben, ob, was das Sozialgericht nach Auswertung
der medizinischen Unterlagen verneint hat, bei dem Kläger
eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
vorliegt sowie ob, was für die Anerkennung einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 erforderlich wäre, eine solche Erkrankung im
Jahre 1966 zur Aufgabe der bis dahin ausgeübten wirbelsäulenbelastenden
Tätigkeiten als Maurer/Hucker geführt hatte. Unterstellt
man dies zugunsten des Klägers, geht man also davon aus,
er habe von 1953 bis 1966 im Sinne der Nr. 2108 wirbelsäulenbelastend
gearbeitet und diese Tätigkeit dann wegen der bandscheiben-
bedingten
Erkrankung der Lendenwirbelsäule aufgegeben, stünde
einer Anerkennung dieses Leidens als Berufskrankheit nach Nr.
2108 die Rückwirkungsregelung des Art. 2 Abs. 2 der 2. ÄndVO
entgegen, wonach eine solche Berufskrankheit nur rückwirkend
anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März
1988 eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 6; Urteil vom 19. Januar 1995
- 2 RU 14/94 -), der sich der erkennende Senat angeschlossen hat
(Urteile vom 28. Oktober 1997 - L 2 U 8/97 und L 2 U 16/97), und
an der er nach erneuter Prüfung festhält, ist die in
Art. 2 Abs. 2 der 2. ÄndVO enthaltene begrenzte Einbeziehung
früherer Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz
nicht nur von der Ermächtigung des § 551 Abs. 1 RVO
gedeckt, sondern auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Hiernach steht dem Kläger kein Anspruch auf Leistungen aufgrund
der Berufskrankheit Nr. 2108 zu. Seine Berufung musste daher zurückgewiesen
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für
die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2
SGG liegen nicht vor.